Der «Text-zu-Sprache-Knopf»

In den nächsten zwei Jahren statten wir alle RBS-Bahnhöfe mit neuen Fahrgastinformations-Systemen aus. Es werden neue Abfahrtsanzeiger mit Echtzeitdaten und eine «text-to-speech»-Anlage installiert. Mit seh- und hörbeeinträchtigten Personen aus verschiedenen Behindertenorganisationen sowie im Beisein von Vertretern des Bundesamtes für Verkehr, haben wir die beiden Systeme direkt vor Ort getestet.

In der Schweiz leben über 325‘000 Personen (Quelle: www.sbv-fsa.ch) mit einer Sehbeeinträchtigung und über 60‘000 Personen (Quelle: www.sgb-fss.ch) sind leicht bis hochgradig schwerhörig. Auch diese wollen am Bahnhof gut informiert werden sie sollen selbständig erfahren können, wann der nächste Zug eintrifft oder ob Störungen den Bahnbetrieb beeinträchtigen. Deshalb installieren wir an unseren Bahnhöfen in den nächsten zwei Jahren neuartige Fahrgastinformationsanzeiger .

Die nationale Gesetzgebung legt detailliert fest, welchen Vorgaben das Fahrgastinformationssystem hinsichtlich der Behindertengerechtigkeit minimal zu genügen hat. Um aus dem vom RBS gewählten System nicht nur das Minimum, sondern das Optimum heraus zu holen, wurde in Worblaufen am Perron 6 eine Testinstallation mit zwei Doppelanzeigern und einer «text-to-speech»-Anlage aufgebaut.

Die Testinstallation

Das Wetter spielte mit. Die Sonneneinstrahlung stellt für alle Anzeigetechnologien eine grosse Herausforderung dar. Bei der Teststellung mit dabei waren auch die Lieferanten der Anzeiger respektive der im Hintergrund wirkenden Software. So konnten technische Fragen direkt beantwortet und Anregungen platziert werden.

Eine Person mit einer Sehebeeinträchtigung testet mit Fernglas die Abfahrtsanzeige auf dem Monitor
Auf dem Perron stehen viele Testpersonen, welche die Abfahrtsmonitore begutachten

Die Abfahrtsmonitore

Als aussenstehende Person fällt einem auf den ersten Blick nicht auf, dass sich die Monitore am Anfang (unter dem Perrondach, Bild oben) und Ende (freistehend, Bild unten) des Perrons unterscheiden. Doch schaut man genauer hin, so erkennt man durchaus einige Unterschiede. So ist beim freistehenden Abfahrtsmonitor die Neigung des Bildschirms nicht so stark wie die des Monitors unter dem Perrondach und auch in der Montagehöhe unterscheiden sich die beiden Anzeiger.

Abfahrtsmonitor mit schwarzen Rahmen. Auf dem Anzeiger ist die nächste Abfahrtszeiten der S7 Richtung Worb Dorf angezeigt
Abfahrtsmonitor mit schwarzen Rahmen. Auf dem Anzeiger sind die nächsten zwei Abfahrtszeiten der S7 Richtung Worb Dorf angezeigt

Bei der Rahmenfarbe wurden Ansätze mit einem gelben und einem schwarzen Rahmen diskutiert. Genau solche Unterschiede sollen die Testpersonen testen, beurteilen und Verbesserungsvorschläge anbringen.

Wie sieht ein Mensch mit einem Sehrest von 10 Prozent die Abfahrtsanzeiger?

Das kann mit einem digitalen Foto (siehe Bild unten) simuliert werden. Das gemachte Foto zeigt einer Person ohne Sehbeeinträchtigung auf, wie die Anzeige für eine Person mit eine Sehrest von 10 Prozent dargestellt wird. Je nach Gegenlicht mit starker Sonneneinstrahlung erscheint dann oft nur eine schwarze Fläche.

Eine Testperson mit einer Sehbeeinträchtigung fotografiert den Abfahrtsmonitor
Testpersonen besprechen miteinander die möglichen Verbesserungen bezüglich der Anzeige auf dem Monitor

Der «Text-zu-Sprache-Knopf»

Die entsprechenden Gesetze und Verordnungen schreiben vor, dass alle Informationen, die angezeigt werden, auch akustisch ausgegeben werden. Klassisch müsste somit jede Zugabfahrt an allen Stationen angezeigt und via Lautsprecher ausgerufen werden. Das würde bedeuten, dass im unteren Worblental oder auch in Jegenstorf teilweise Durchsagen im «Dreiminutentakt» erfolgen. Da die meisten RBS-Stationen im dichten Siedlungsgebiet liegen, wären Klagen von den Anwohnern vorprogrammiert und auch nachvollziehbar.
Um diesen Zielkonflikt zu entschärfen, wendet der RBS als erste Bahn in der Schweiz das von Bus und Tram her bekannte System «text-to-speech» (auf Deutsch: «Text-zu-Sprache», abgekürzt «T2S») auch bei der Bahn an. Nach dem Druck auf den entsprechenden Knopf liest eine Computerstimme den Text auf den Anzeigern über einen integrierten Lautsprecher vor.

Eine Person mit einer Hörbeeinträchtigung testet den text-to-speech-knopf. Respktive die Durchsage des Textes auf dem Abfahrtsmonitor

Der grosse Vorteil dieser Lösung ist nicht nur, dass die Anwohnenden entlastet werden, vielmehr kann der Text zu einem beliebigen Zeitpunkt und bei Bedarf auch wiederholt abgefragt werden. Das heute bereits vorhandene Lautsprechersystem wird natürlich beibehalten, da auch künftig bei grösseren Störungen oder in speziellen Situationen die Fahrgäste auf den Perrons akustisch informiert werden.

Was ist die Besonderheit der «T2S«-Lösung?

Die bei Tram und Bus bereits etablierte «T2S»-Lösung musste zunächst für die Anwendung im Bahnbereich angepasst werden. Denn wie soll eine stark sehbeeinträchtigte Person den Knopf auf einem 120m langen Perron finden? Anders als bei Tram und Bus dürfen nämlich auf Perrons aus Sicherheitsgründen neben der taktilen Sicherheitslinie entlang der Perronkante und den Aufmerksamkeitsfeldern bei den Perronzugängen keine Markierungen angebracht werden.

Die Lösung wurde im Vorfeld der Testinstallation gemeinsam mit dem Bundesamt für Verkehr und der Behindertenorganisation Inclusion Handicap entwickelt und im Sinne der sogenannten «lückenlosen Führungskette» für Sehbeeinträchtigte ausgestaltet. Die Knöpfe werden jeweils an den relevanten (Haupt-)Zugängen platziert.

Eine weitere Neuigkeit ist der Knopf selber. Die eher schlechten Erfahrungen mit den an den Bushaltestellen beim RBS und BSU verbauten Kunststoffknöpfen hat uns dazu bewogen, Alternativen zu prüfen. Die gewählte Lösung ist der aus Australien stammende «PB/5«-Knopf. Dieser ursprünglich für Fussgängerampeln entwickelte Druckknopf gilt als echte Designikone, ähnlich der Schweizer Bahnhofsuhr. Bereits in den 1980er-Jahren entwickelt, ist dieser Knopf sehr markant, robust und behindertengerecht.

Drei Perosnen stehen um den text to speek knopf herum. Eine Person hört den Text über den eingebauten Lautsprecher ab

Die Testergebnisse

Grundsätzlich verlief die Teststellung für alle Beteiligten sehr zufriedenstellend. Es sind keine grundsätzlichen Fehler aufgetaucht. Trotzdem ergaben sich bei der Begutachtung zahlreiche kleine Verbesserungsideen, teilweise mit grosser Wirkung! Dank dem Beisein der Hard- und Software-Lieferanten konnten einige Ideen direkt vor Ort umgesetzt werden.

So konnte beispielsweise die Schriftgrösse des Lauftextes unten am Bildschirm optimiert werden. Auch zugesagt wurden z.B. Verbesserungen beim Lautsprecher im «T2S»-Knopf (Lautstärkenregelung, Equalizer), welche im Nachgang aber noch genauer geklärt werden mussten.

Testpersonen im Fachpersonen am diskutieren. Testperson ist sehbeeinträchtigt. Eine Fachperson hält einen Laptop und andere einen Notizblock in Händen.

Die nächsten Schritte

Unterdessen wird der Rollout der definitiven Anzeiger kombiniert mit der «T2S»-Lösung für Anfang 2018 vorbereitet. Am Bahnhof in Worblaufen wird die Testinstallation nach wie vor bis zum Rollout für Tests genutzt. Auf den anderen Perrons wird parallel dazu mit den Installationen der Monitore gestartet. Neben dem Bahnhof Worblaufen sollen in einer ersten Etappe die bestehenden, teilweise störungsanfälligen Abfahrtsanzeiger in Solothurn, Worb Dorf, Zollikofen und Ittigen ersetzt werden. Anschliessend sollen alle übrigen Bahnhöfe ausgerüstet werden.

Die unterschiedlichen Gegebenheiten jedes einzelnen Bahnhofs muss für die Installationen berücksichtigt werden. Hinsichtlich der grundsätzlich noch neuartigen «T2S»-Lösung werden wir bei Bedarf nochmals auf das spezifische Fachwissen der Behindertenorganisationen setzen, um eine für alle Fahrgäste optimale Lösung zu erhalten und spätere Korrekturen zu vermeiden.


Was ist wichtig?

Auf diese Aspekte haben unsere Testpersonen geachtet:

Abfahrtsanzeiger

  • Ist die Schriftart gut lesbar?
    --> Eine schnörklige Schriftart ist schwieriger zu entziffern als eine fette runde Schriftart.
  • Ist die Schriftart-Stärke dick genug?
    --> Dünne Schriftartlinien sind schwer lesbar.
  • Ist die Spiegelung des Bildschirms so gering wie möglich?
    --> Eine Abschirmung rund um den Bildschirm hilft sehr, so dass die Sonneneinstrahlung und das Spiegelungen minimiert werden.
  • Ist die Schriftgrösse respektive das gesamt Layout der Bildschirmfläche auch für sehbeeinträchtigte Personen optimal lesbar?
    --> Je mehr Informationen auf einem Bildschirm, desto geringer wird die Lesbarkeit. Aktuell wird die S-Bahn-Nummer, der Zielort, die Abfahrtszeit, das Ein- resp. Aussteigezeichen und ein Lauftext unten am Bildschirm dargestellt.
  • Ist der Lauftext unten am Bildschirm gut lesbar?
    --> Die Schnelligkeit beeinflusst die Lesbarkeit enorm. Je schneller der Text abläuft, um so schwieriger ist die Lesbarkeit.
  • Stimmt die Montagehöhe des Monitors?
    --> Je höher die Monitore installiert sind, desto schwieriger ist die Lesbarkeit. Sind die Bildschirme aber zu weit unten angebracht, sind sie für Mensch ohne Sehbeeinträchtigung von weitem nicht  ersichtlich.
  • Stimmt der Neigewinkel des Anzeigers?
    --> Je stärker der Winkel, um so geringer ist die Sonneneinstrahlung und je weniger Sonneneinstrahlung, um so besser kann der Text auf dem Anzeiger gelesen werden.

«text-to-speech»-Knopf

  • Stimmt der Standort?
    --> Die Höhe des Lautsprechers muss für grosse und kleine Personen praktisch erreichbar sein.
  • Ist die Lautstärke laut genug?
    --> Auch wenn der Zug einfährt und starke Lärmemissionen entstehen, muss der Text verstanden werden können.
  • Ist eine induktive Übertragung (drahtlose Übertragung über Bluetooth/Funk) machbar?
    --> Sicherstellen, dass der gesprochene Text auch auf ein Hörgerät übertragen werden kann. 
  • Ist die Blindenschrift gut spürbar/lesbar?
    --> Die Schriftgrösse und -stärke, so wie das Material auf welchem die Blindenschrift hinterlegt wird, muss stimmen.

 

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