Pandemieverantwortliche RBS: «Wir sind relativ geordnet durch diese Krise gekommen.»

Das Coronavirus hält die Welt weiterhin in Atem und beeinflusst noch immer das Leben in der Schweiz. Auch der RBS war und ist im Rahmen der Krise stark gefordert. Eine besondere Rolle kommt dabei Christine Schulz als Pandemieverantwortliche des RBS zu.

Christine Schulz, du bist Leiterin Unternehmensentwicklung und zugleich Pandemieverantwortliche beim RBS. Wie stark ist dein Arbeitsalltag durch die Pandemie geprägt und welches sind deine Hauptaufgaben?

Ende 2019 konnte man in Europa die ersten Nachrichten zur Verbreitung des neuartigen Coronavirus lesen. Am 3. Februar hat sich die Geschäftsleitung des RBS zum ersten Mal offiziell mit Corona befasst und mich als Sicherheitsbeauftrage des RBS in dieser Sitzung zur Pandemieverantwortlichen für den RBS bestimmt. Von da an hatte ich praktisch einen neuen Fulltimejob! Die Entwicklungen in der Corona-Pandemie waren rasant und schwer voraussehbar, weil das Virus in vielen Bereichen unbekannt war. Alle Massnahmen mussten bei laufendendem Betrieb umgesetzt werden. Informationen aus dem Bundesamt für Gesundheit BAG sowie vereinzelt und eher zufällig aus der öV-Branche waren anfangs die einzigen Leitplanken für unser Handeln. Mit der Zeit verlief die Informationsbeschaffung etwas systematischer, SBB und PostAuto begannen, branchenweite Lösungen zu präsentieren. Dies erleichterte natürlich meine Arbeit.

Meine Aufgabe war – und ist es immer noch – alle wichtigen Vorgaben und Empfehlungen zu koordinieren, für den RBS zu «übersetzen», Vorschläge zu machen und zu organisieren, dass diese intern umgesetzt werden. Gleichzeitig war insbesondere während der ersten Wochen das Beschaffen und Verteilen von Schutzmaterial, also etwa Händedesinfektions- und Reinigungsmittel, eine zeitaufwendige Sache. Um rasch handlungsfähig zu sein, wurde der allgemeine Krisenstab, der sogenannte «Pandemiestab» einberufen. Dieser traf sich am 26. Februar zum ersten Mal und hat seitdem die Geschehnisse rund um Corona eng begleitet und viele Entscheidungen gefällt und beim Umsetzen mitgeholfen.

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Wie oft trifft sich der interne Pandemiestab, wer gehört ihm an? 

Dem Pandemiestab gehören an: Fabian Schmid, Direktor (Leitung), Hans-Jakob Stricker, stellvertretender Direktor, Carmen Pfluger, Leiterin Finanzen, Ueli Schumacher, Leiter Produktion, Fabienne Thommen, Leiterin Kommunikation, Bernard Künzli, Leiter Betrieb BSU, und ich. Anfangs wurden die Sitzungen des Pandemiestabes jeweils kurzfristig und mehrmals in der Woche einberufen, damit wir mit der schnellen Entwicklung Schritt halten konnten. Ab Mitte März reduzierten wir den Sitzungsrhythmus auf einmal wöchentlich. Ein zentrales Dokument, welches täglich aktualisiert wurde und den Stand der Ausfälle von Mitarbeitenden durch Krankheit, Quarantäne und Kinderbetreuung sowie neuste Entwicklungen aufzeigte, Vorgaben und Fragen beinhaltete, half uns, effizient zu arbeiten. Mitte Mai wurde beschlossen, die erste «akute» Phase abzuschliessen und wo möglich die Geschäfte wieder den bestehenden Gremien zu übergeben. Der Pandemiestab existiert weiterhin, trifft sich jedoch nur noch bei Bedarf.

Mit welchen externen Unternehmen und Behörden stehst du in Kontakt?

Einerseits sind das diejenigen Behörden, welche das medizinische Fachwissen haben, in erster Linie das BAG und das Kantonsarztamt Bern. Hier konnte ich jederzeit Fragen klären – auch wenn die Antworten nicht immer so präzise waren wie gewünscht … Andererseits gab es mit der Zeit einen sehr wertvollen Austausch innerhalb der öV-Branche. PostAuto und SBB haben dabei die wichtigste Rolle gespielt, weil sie die Vorgaben des Bundes für die ganze Branche weitergegeben haben. Ein zuverlässiger Partner war auch die Rhätische Bahn, wobei wir uns nicht nur informell austauschten, sondern auch gemeinsam Schutzmaterial bestellten. Mit dem Leiter des Krisenstabes BLS konnte ich viele Erfahrungen teilen. Dank ihm gelangten wir an einen Hygienemasken-Lieferanten, dessen Produkte durch die SBB qualitativ geprüft wurden. Dies war mir persönlich sehr wichtig, da auf dem Markt viel «Ramschware» verkauft wurde, unter anderem mit gefälschten Zertifikaten.

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Finden die Kontakte hauptsächlich physisch oder per Videogespräche statt?

Die physischen Kontakte sind auch bei mir auf ein Minimum geschrumpft. Die Abklärungen und Gespräche fanden per Mail oder telefonisch statt. Mit meinen internen Kolleginnen und Kollegen habe ich mich häufig per Videokonferenz unterhalten. Mir persönlich gefällt diese Art der Zusammenarbeit sehr gut: Es hat etwas Persönliches, weil man sich eben sieht, zum Teil sogar mit einem kleinen Einblick ins «Homeoffice» des jeweiligen Gegenübers, gleichzeitig ist es sehr effizient und zeitsparend.

Seit der Vogel- und Schweinegrippe verfügt der RBS über Pandemiepläne. Welche dieser Massnahmen konnten bei der Corona-Pandemie umgesetzt werden, welche nicht und weshalb?

An den bisherigen Pandemieplänen und Informationen konnte ich mich anfangs etwas orientieren. Ganz vieles war ja neu für mich, und ich musste mich zuerst einlesen. Der erste Auftrag an die Abteilungen war dann auch, bestehende Dokumente zu überprüfen. Damit konnten wir die Schlüsselfunktionen definieren und hatten einen Plan, welchen Fahrplan wir umsetzen, wenn es zu vielen krankheitsbedingten Ausfällen kommen sollte. In der Praxis allerdings mussten wir das meiste neu denken und erarbeiten. Welche Tätigkeiten gibt es innerhalb des RBS, wer braucht in welcher Reihenfolge Desinfektionsmittel, wo können wir noch was bestellen, denn anfangs war ja kaum Desinfektions- und Reinigungsmittel zu bekommen. Und wie verteilen wir das Material, wer organisiert das Nachfüllen und so weiter. Eine gute Kommunikation war von Anfang an zentral.

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Und dann kam es zur Fahrplananpassung ...

Genau! Ab 25. März wurde das Angebot auf Anordnung des Bundes massiv gekürzt – damit hatten wir nicht gerechnet, und so existierte auch keine Vorbereitung aus früheren Jahren. Diese kurzfristigen Fahrplanwechsel, am 11. Mai wurde ja wieder «hochgefahren», brachten ganz viele von uns ins Schwitzen. Obwohl wir das allermeiste neu erfinden mussten, habe ich persönlich das Gefühl, dass wir bis heute relativ geordnet durch diese Krise gekommen sind. Und da hat die Kultur des RBS massiv geholfen: kurze Entscheidungswege, persönliche Kontakte und vor allem ein grosses Engagement und Verantwortungsgefühl aller Mitarbeitenden. Das ist denn auch für mich in dieser teils sehr hektischen Zeit eine tolle Erfahrung gewesen: Ich konnte einen Kollegen oder eine Kollegin anrufen, mein Anliegen schildern, und kein einziges Mal bekam ich zu hören, dass man jetzt grad keine Zeit habe. Ich bekam jederzeit umgehend Hilfe und konnte mich auf alle verlassen. 

Was war nebst dem Ausdünnen des Fahrplans am schwierigsten umzusetzen?

Das Beschaffen und die Logistik von Schutzmaterial waren nicht einfach. Zuerst musste ja immer geklärt sein, was wir überhaupt brauchen. Zum Beispiel beim Thema Masken für die Mitarbeitenden: Bei den früheren Epidemien wurden viele Masken gekauft – und dann nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums weggeworfen. Nun wusste man ja noch nicht viel über das neue Coronavirus. Sind Masken sinnvoll oder nicht? Müssen wir alle Mitarbeitenden mit Masken ausrüsten? Also, bestellen oder nicht bestellen, und falls ja, welche Art und wo? Mit der Abgabe von Schutzmaterial muss ja auch das korrekte Anwenden sichergestellt werden, also brauchte es zu jeder internen «Lieferung» auch eine speziell angepasste Anweisung zum Gebrauch. Das alles musste schnell gehen, und es durfte niemand vergessen werden.

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Besondere Regeln galten mit dem Lockdown auch für das Personal. Besonders gefährdete Mitarbeitende, welche nicht zu Hause arbeiten konnten, wurden bei vollem Lohn beurlaubt, ebenso überzähliges Personal als Folge des ausgedünnten Fahrplans. Ein Grossteil der Mitarbeitenden arbeitete zudem im Home Office. Galten diese Regeln in der gesamten Branche oder teils ausschliesslich beim RBS? 

Das ist eine sehr gute Frage! Man könnte ja meinen, in der gleichen Branche sollten auch die gleichen Regeln gelten. Aber dem ist nicht so. Was zum Teil auch nachvollziehbar ist, schliesslich unterscheiden sich etwa RBS massgeblich von anderen Transportunternehmen, welche zum Beispiel im touristischen Bereich tätig sind. Deshalb, und wohl auch, weil alles sehr schnell ging und sich die Ereignisse und Vorgaben innerhalb weniger Tage immer wieder veränderten, mussten wir vieles allein entscheiden. Die entsprechenden Themen wurden in den Pandemiestabsitzungen besprochen. Bei einigen Themen war die Haltung von RBS sofort klar, etwa bei der Frage, ob alle ihren Grundlohn weiterhin vollständig erhalten werden, auch wenn sie in Zusammenhang mit Corona nicht wie gewohnt arbeiten konnten. Andere Themen wurden kontroverser und länger diskutiert, aber überall konnten wir Lösungen finden. Erst mit der Zeit wurden insbesondere die arbeitsrechtlichen Fragen und Lösungen innerhalb der Branche ausgetauscht. Dies hilft, die eigenen Entscheide immer wieder zu überprüfen.

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Christine, zum Schluss drei persönliche Fragen: Wie sieht für dich die neue Normalität aus? Was wird sich aus deiner Sicht nach der Krise grundlegend verändern, was lernen wir für die Zukunft?

Weniger Nähe, aber nicht weniger Freundschaft und Gemeinschaft! Anfangs habe ich das viele Händeschütteln und die «drü Müntschi» bei privaten Begrüssungen gar nicht vermisst. Mittlerweile würde ich gerne mal wieder eine gute Freundin umarmen. Ansonsten kann ich gut mit den Beschränkungen in dieser neuen Normalität umgehen. Ich habe viel weniger Termine, auch privat, das hat mir persönlich auch irgendwie gutgetan und mich etwas gebremst. Ich hoffe, dass ich mir einen Teil dieser Ruhe auch in Zukunft bewahren kann. Ob sich durch diese Pandemie in der Gesellschaft langfristig und grundlegend etwas ändern wird, bin ich noch nicht sicher. Ich hoffe es aber. Im Grossen sollten wir auf der Welt noch viel mehr zusammenarbeiten, denn Probleme wie Pandemien lassen sich nicht im Nationalstaat lösen. Ebenso wenig wie der Klimawandel. Im Kleinen überlebt hoffentlich die Erfahrung, dass die Globalisierung nicht das Mass aller Dinge sein kann und wir uns gut überlegen müssen, welche Güter wir besser lokal, in guter Qualität und unter guten Arbeits- und Umweltbedingungen herstellen. Und die grosse Welle der nachbarschaftlichen Solidarität hält hoffentlich auch noch ganz lange an!

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