Gastbeitrag: «Hut ab vor den Profis am Steuer»

Wer vor Schulbeginn mit dem Bus zur Steinerschule in Ittigen hochfährt, kennt diese Szenen: Es ist eng und laut, die Stimmung scheint ausgelassen, und manche Kinder messen schon mal ihre Kräfte. Wenn jemand in der Lichtschranke steht, benötigt die Türe mehrere Anläufe bis zur Verriegelung, und regelmässig führt ein mutwillig gedrückter Halteknopf zu einem Zusatzhalt. Die Fahrer fühlen sich hin und wieder dazu veranlasst, über den Innenlautsprecher zur Ordnung aufzurufen.

Wie ist das wohl, so beginne ich mich zu fragen, für die Busfahrer, mit einem Bus voll mit kindlichem Bewegungsdrang und jugendlicher Nonchalance den Berg hochzufahren? Auskunft erhalte ich bei André Huguenin, Leiter Fahrdienst beim Regionalverkehr Bern-Solothurn RBS, und in dieser Rolle zuständig für alles, was das reibungslose Fahren möglich macht: Er beschäftigt sich mit dem Fahrplan genauso wie mit jeder Baustelle auf dem Streckennetz, mit Bahnersatzkursen genauso wie mit der Personalweiterbildung, mit Kundenreklamationen genauso wie mit der Form der Halteknöpfe in den Bussen. Früher war er selber Fahrer und kennt die Linie 47 genauso wie jede andere Buslinie des RBS.

Busfahren braucht Nerven

André Huguenin bestätigt, dass die Hektik der Stosszeit, die Dynamik unter den Kindern und unnötige Stopps für die Fahrer eine Herausforderung sind. Zuoberst auf der Prioritätenliste des RBS steht aber die Sicherheit, und da ist das Geschehen ausserhalb des Wagens viel entscheidender. Die Fahrgäste sind sich das kaum bewusst; eigentlich müssten sie jederzeit auf eine abrupte Abbremsung gefasst sein. Deshalb ist auch das Verhalten der Reisenden sicherheitsrelevant. Spätestens wenn Kinder an den Haltestangen herumturnen, kann also nicht mehr von Sicherheit gesprochen werden. 

Gleichzeitig wissen die Fahrer, dass Kinder eben Kinder sind und tausend andere Sachen im Kopf haben. Wenn ein Fahrer sich für eine Zurechtweisung entscheidet, tut er das bestimmt nie leichtfertig. Zu- dem wird er sich immer fragen müssen, ob er die Zeit dazu hat und die notwendige Wirkung erzielt. Auf der anderen Seite kann es vorkommen, dass die Nerven aufgrund einer aufgelaufenen Verspätung oder wegen des hektischen Morgenverkehrs schon so strapaziert sind, dass es von Seiten der Kinder nur noch wenig braucht, bis ein Fahrer reagiert.  

Bus, Chauffeur, Ittigen

Aus Rückmeldungen lernen

Es kommt sogar – wenn auch sehr selten – vor, dass ein Fahrer ein Vorkommnis an den Fahrdienstleiter meldet, etwa wenn Abfall zu offensichtlich im Bus liegen bleibt oder wenn Kinder beim Bahnhof Bolligen unter der geschlossen Schranke durchschlüpfen. André Huguenin ruft dann bei Martin Suter vom Sekretariat in Ittigen an, um die Sache zu besprechen. Umgekehrt meldet Martin Suter Wahrnehmungen an den Fahrdienstleiter zurück, vor allem das Halten auf der Seite des Schulhauses hat am Anfang nicht immer geklappt. Man kennt sich inzwischen, auch weil die Schule seit vielen Jahren Extrafahrten für das Chorkonzert oder ins Melchenbühl bucht. Beide Seiten nehmen die Rückmeldungen sehr ernst und ziehen am selben Strick, um einen möglichst reibungslosen Betrieb zu ermöglichen. 

Rückmeldungen der Kundschaft bespricht André Huguenin konsequent mit dem betreffenden Fahrer, schärft dabei den Blick für das Verhalten in anspruchsvollen Situationen und erinnert nötigenfalls an die betrieblichen Vorgaben. Und auch wenn ein Fahrer eine erlebte Situation besprechen will, nimmt sich der Fahrdienstleiter Zeit. Der Kundenkontakt ist eines der grossen Themen der regelmässigen Fahrer-Weiterbildung. An der Schnittstelle zwischen Maschine und Mensch muss das Personal nicht nur technisch, sondern auch psychologisch geschult sein.  

 

Rückspiegel, Bus

Verantwortung im Auge haben

  Vom Besuch bei André Huguenin bleibt vor allem ein     Gedanke: Das sind Profis. Das heisst: Wenn es mal hoch    zu und her geht – sei es auf der Strasse, im Bus oder mit   ihren Emotionen – die Fahrer versuchen stets fokussiert   zu sein auf ihre Aufgabe. Sie sind geschult, um dichten   Verkehr und volle Busse zu bewältigen, um Lärm und   unnötige Stopps wegzustecken, um verfötzelte Zeitungen   und freche Antworten nicht persönlich zu nehmen. Aber   – Hand aufs Herz – das heisst nicht, dass wir ihnen das   ungerührt zumuten sollen.  

  Seit meinem Besuch bei André Huguenin fahre ich anders Bus. Ich   ziehe jeweils gedanklich den Hut vor den Fahrern. Je perfekter die   Organisation und die Schulung, desto reibungsloser der Betrieb. Und   desto weniger nehmen wir wahr, wie anspruchsvoll die Aufgabe der Fahrer ist. Dabei hätten sie genau das verdient – zum Beispiel indem man ihnen das Leben nicht unnötig schwer macht. Anstatt sich von den Launen treiben zu lassen, die eigene Verantwortung im Auge haben – das ist nicht nur für die Fahrer, sondern auch für alle Passagiere eine treffende Maxime.   

PS: Und noch etwas habe ich bei André Huguenin erfahren: Seine Fahrer sind froh für jedes Kind ausserhalb des Wagens, das eine Warnweste trägt – auch wenn es nur den Wendeplatz vom Tilia zur Schule hinüber quert.

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Buschauffeur/in
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Kommentare

01. Oktober 2015
Gast

Auch von mir ein "Hut ab!" für die Leistungen. Egal, was hinten im Fahrgastraum passiert, möglichst ruhig zu bleiben - das ist eine beachtliche Leistung. Ich kann mir gut vorstellen, dass Eltern(teile) übel darauf reagieren, wenn doch mal ein Chauffeur oder eine Chauffeurin um etwas Ruhe bittet, wenn die engelsgleichen Sprösslinge herumturnen und Lärm veranstalten. Erziehung ist halt leider nicht jedermanns/-fraus Sache. Grossen Respekt vor allen, die täglich trotzdem die Fahrzeuge sicher ans Ziel bringen!